Oberirdischer Gang entdeckt!
29. Juni 2012 von Annett Steinert
Baugeschichtlich und städtebaulich bedeutsame Ensembles in Stadtmitte sind in der Regel ein Fall für die Denkmalpflege. Bauhistorische Untersuchungen sind dabei unerlässlich, wenn im Vorfeld geplanter Sanierungen Erkenntnisse über Baualter, Konstruktion, Ausstattung und ursprüngliches Erscheinungsbild solcher Gebäude gewonnen werden sollen. Denn nicht nur in Erinnerungen, Chroniken und Archiven finden sich interessante historische Informationen, sondern vor allem an den unmittelbar überkommenen Geschichtsquellen, zu denen auch alte Bauwerke gehören.
Der Pfarrhof in der kleinen Kurstadt Bad Lausick ist ein solcher Fall. In unmittelbarer Nachbarschaft zur romanischen Kilianskirche gelegen, einem der ältesten Kirchenbauten Sachsens, bildet die Baugruppe zusammen mit dem angrenzenden Marktplatz das Herzstück der historischen Altstadt.
Das Pfarrhaus, nach einem Brand im Jahr 1719 neu und – für die Barockzeit typisch – mit hohem Mansarddach errichtet, besitzt einen schlichten zweigeschossigen Anbau mit Walmdach. Unter der Federführung der Werkstatt für Denkmalpflege und ländliches Bauen – Hans Dirk Hoppe und unter Mitarbeit der Kunsthistorikerin Annett Steinert wurde im März/April 2012 im Auftrag der Kirchgemeinde Bad Lausick eine denkmalpflegerische Bestandsaufnahme dieses Seitengebäudes durchgeführt. Offene Fragen bezogen sich insbesondere auf die Entstehungszeit des Gebäudes sowie auf eine vermutete konstruktive Besonderheit auf der Hofseite, die im OG aus Fachwerk besteht.
Durch Sichtung und Auswertung von Archivmaterial und die dendrochronologischen und bauhistorischen Untersuchungen vor Ort konnte nachgewiesen werden, dass das Seitengebäude, ursprünglich als Stall genutzt und im OG in Kammern unterteilt, im Jahre 1720, also zeitlich unmittelbar im Anschluss an das Vorderhaus erbaut wurde. Der damit älter als vermutet einzuordnende Bau besaß entlang der Hofseite eine schmale, oberhalb der Brüstung wohl offene Erschließungszone, einen sogenannten Laubengang. Bereits 40 Jahre nach der Errichtung des Gebäudes musste der ungeschützt an der Westseite liegende Gang erneuert werden, die nunmehr in Eiche ausgeführte Holzkonstruktion wurde mit einer geschosshohen äußeren Verbretterung geschützt. Im Zuge eines Umbaus Ende des 19. Jahrhunderts – der damalige Pfarrer hatte sich eine der Kammern zur Studierstube mit Blick auf die Kilianskirche ausbauen lassen – wurde zudem das Fachwerk des Ganges mit Ziegeln ausgemauert. Er blieb vorerst innen noch erhalten, ging dann aber 1922 durch das Entfernen von Binnenwänden im Zusammenhang mit der Schaffung eines großen Versammlungssaals verloren.
Der entdeckte ehemalige Laubengang ist ein mittlerweile auch in Dörfern selten gewordenes Beispiel für die Bauweise älterer Neben- und Wirtschaftsgebäude, die einst auch bei Hofanlagen im städtischen Bereich typisch und weit verbreitet war. Eine Vorstellung vom Aussehen eines ähnlichen, jedoch kürzeren Laubengangs vermittelt ein historisches Foto aus den Beständen des Geschichtsvereins Bad Lausick: der 1938 abgebrochene Hommlersche Hof.
Annett Steinert & Hans Dirk Hoppe 06/2012